(Der folgende Text zum Thema Alchemie stammt nicht aus meiner Feder, sondern ist ein kleiner Auszug aus einer Arbeit des zu früh verstorbenen Berthold Daut über den Alchemisten Heinrich Khunrath. Da uns Gemeinsames verband, möchte ich dem Autor so eine kleine Referenz erweisen. Bei den hier entfallenen Textteilen bezog sich der Autor auch auf: Yates, Frances: Die okkulte Philosophie im elisabethanischen Zeitalter. Weitergehendes zu Khunrath hat Oliver Humberg vom Forschungskreise Alchemie e.V.- www.fk-alchemie.de erarbeitet.)
Im Jahr 1952 als ich in der Unterprima saß und ein Referat über Alchemie vorbereitete, welches im Geschichtsunterricht vorgetragen werden sollte, reichte man mir im Lesesaal der Nassauischen
Landesbibliothek neben einigen anderen einschlägigen Werken einen Band, der nicht nur aus einem Grund auffiel und mich sehr beeindruckte.
Es war ein Folioband aus dem Jahr 1609, der mich beim Blättern durch eine Reihe von Kupferstichen fesselte, die jeweils das doppelte Folioblatt einnahmen, also gesondert aufgeschlagen werden
mußten. Was war es, das mich als Neunzehnjährigen so stark anzog, fesselte, faszinierte? Zuallererst sicher die Wahrnehmung, daß hier mit großer Willenskraft, symbolischer Konzentration und
künstlerischer Akkuratesse eine Lehre oder Wissenschaft im Bild erschien, die ich bewunderte, obwohl sie mir zunächst fast ganz unzugänglich blieb. Bekanntlich baut sich ein Geheimnis auf, wenn
ein Ding kraftvoll hervortritt, die Quelle seiner Energie und der Einfluß seiner Wirkung aber dunkel bleiben. Der betrachtende Geist möchte verstehen, eindringen, fassen - er wird immer wieder
zurückgewiesen und kehrt doch immer wieder zurück zum Objekt seiner Faszination. Da gab es die "Alchemistische Festung", deren äußerer Ring zu zwanzigfachem laborantischem Irrtum einlädt, durch
die enge Pforte zwischen FIDES und TACITURNITAS aber den wahren Weisen einläßt, der eine zweite Pforte passieren muß, die unter dem Zeichen von John Dees Monas-Hieroglyphe steht, ehe er vor dem
Geheimnis des Steins ganz im Innern niederknien darf. Da war der "Stein der Weisen" benannte Stich, ein stabiler Ring, von stabilen lateinischen Lettern beschriftet, enthaltend drei Kugeln, deren
kleinste von einem mannweiblichen Doppelwesen gehoben wird, über dessen doppeltem Kopf sich ein radschlagender Pfau erhebt, während der ganze Rest der inneren Fläche von einem durch Versalien
gegliederten lateinischen Text eingenommen wird.
Auch auf den "Lab-Oratorium" getauften Stich schaut man wie durch ein zentriertes übermäßiges Vergrößerungsglas, der Blick wird von einer fernen Leere angesaugt, während er auf der linken Seite
an einem Gebetszelt, auf der rechten am alchemistischen Ofen vorübereilt. Die Mitte wird von einer Gruppe Saiteninstrumente gebildet.
Die drei kurz beleuchteten Beispiele sollen belegen, daß der Betrachter der Kupferstiche tatsächlich einen Blick in eine "andere Welt" tut, deren Figuren und Inschriften ihn fesseln aber
gleichzeitig ihm mitteilen, daß er die Rätsel nun Schritt für Schritt erst lösen muß. In der Folge sollen alle Stiche hier abgebildet werden, damit der Leser von den im Kontext erwähnten Details
sich selbst einen Eindruck verschaffen kann.
Der Titel unseres ungewöhnlichen Buches lautet:
Amphitheatrum sapientiae aeternae solius verae, christiano-kabalisticum, divino-magicum, nec non physico-chymicum, tertriunum, catholicon:
Instructore Henrico Khunrath Lips.
Theosophiae amatore fideli, et Medicinae utriusq. Doct: Hallelu-Jah! Hallelu-Jah! Hallelu-Jah!
Phy Diablo!
E millibus vix uni.
Als Universitätslehrer, der einen größeren Einfluß auf Khunrath ausüben konnte, bleibt nur Felix Platter übrig (1536-1614). Dieser hatte 1580 den Lehrstuhl der theoretischen Medizin bekommen. In
seinen sehr sorgfältig ausgearbeiteten Vorlesungen, die sein Sohn als "Praelectiones" im Druck herausgab, legte er eingehend die Lehren Theophrasts dar und besprach sie kritisch. Er wagte eine
vorurteilslose Würdigung des Paracelsus, den er sogar als "vir in suo genere maximus" bezeichnete, entgegen der Auffassung der Medizinischen Fakultät, die den Paracelsismus verdammte. In seinem
"Hylealischen Chaos" bekennt sich Khunrath zu den Grundauffassungen des Paracelsus, ob er diese in seinen vier Monaten Basel oder sogar schon früher kennengelernt hatte, muß offen bleiben.
Als praktizierender Alchemist war er mit der eigenständigen Bereitung der Arznei vertraut und hatte ganz bestimmt keine Ähnlichkeit mit dem Spottbild eines Arztes, der sich Patienten aus der
Distanz beschaut, um danach lediglich eine widersprüchliche Menge von Verhaltensregeln auf sie loszulassen.
Gleichzeitig mit Khunrath schrieb sich Andreas Libau, besser bekannt unter dem Namen Libavius, in die Matrikel ein. Er war zu diesem Zeitpunkt 38 Jahre alt (1550-1616) und Khunrath müßte
eigentlich mit ihm zusammengetroffen sein.
Von 1611 an veröffentlichte Libavius eine Reihe von Büchern, in denen er die Fundamente der Alchemie in Frage stellte. Er war bis zu seinem Tode Gymnasialdirektor in Coburg (ab 1605). über seine
Schmähungen und Unwahrhaftigkeiten unterrichtet am besten Johann Agricola in seiner "Chymischen Medizin", denn er hat ihn mehrmals besucht und mit ihm "disputiret".
Carlos Gilly (In: Die Manifeste der Rosenkreuzerbruderschaft, Katalog einer Ausstellung, Amsterdam 1986, S. 84 und 85) nennt Libavius den "Chemiker aus dem Studierzimmer", der "seinen ganzen Ruhm
vor allem in der Geschichte der Chemie nicht seinen eigenen Experimenten verdankt, sondern allein der fleissigen Kompilationsarbeit aus den Schriften eben derjenigen, die er auf der allgemeinen
weltanschaulichen Linie mit Härte und Gehässigkeit zu vernichten trachtete." Einen großen Teil seines umfangreichen Werkes (22 Titel mit über 16000 Seiten) widmete Libavius der Verteidigung des
Aristotelismus, der "Säuberung" der Alchemie von jeglichem Echo aus der "theophrastica" und aus der Philosophie des "impius et ethnicus" Hermes Trismegistos.
Wachsendes Ansehen und Anziehungskraft verdankt die medizinische Fakultät der Stadt Basel ihrem Sohn Felix Platter. Aufsehen erregt er, als er 1559 die Leiche eines gehängten Diebs öffentlich
seziert.
Mit 35 Jahren nahm er den obersten medizinischen Platz in Basel ein. Er wurde Spitalleiter, wurde ordentlicher Professor der praktischen Medizin. Dreizehnmal war er Dekan, achtmal Rektor.
Die dritte große Sektion fand im August 1588 im 'Theatrum anatomicum' vor 70 Zuschauern statt. Wir dürfen davon ausgehen, daß auch Heinrich Khunrath unter den Zuschauern war.
Im Juni des Jahres 1589 hatte Khunrath sich in Bremen mit John Dee getroffen hat. Ein Protokoll vom Gespräch der gelehrten Magier gibt es nicht. Dee war 62, Khunrath 29 Jahre alt. Als Spur
erscheint Dees Monas-Hieroglyphe am Portal der Hermetischen Festung. Dee hatte sein Prager Abenteuer hinter sich, seine Idee einer universellen Religion hatte dort nicht gezündet, die Jesuiten
hatten gegen ihn gearbeitet, ihn schließlich verdrängt.
In der Widmung einer kleineren medizinischen Arbeit nennt Khunrath Dr. Dee den "englischen Hermes", sicher ein Beweis für seine Hochachtung. Aber von missionarischem Eifer ist bei Khunrath nichts
zu spüren, die Stiche des Amphitheatrums sprechen die Sprache des Hortus conclusus, eines elitären Solipsismus, der noch nicht einmal Schüler um sich herum duldet.
Khunrath ist immer allein mit sich, allein mit der Natur, allein mit Gott. Aber vielleicht hat er von Dee einen Hinweis auf die Prager Magnaten erhalten, wie käme er sonst 1591 zu Wilhelm von
Rosenberg als Leibarzt? Die Verbindung mit dem Kaiserhof schlägt sich auch in dem 10 Jahre währenden Privileg nieder, das Rudolf II 1598 für das Amphitheatrum gewährte: Cum Sanctae Caesareae
Maiestatis Privilegio ad decennium a prima impressionis die.
Während seines Aufenthaltes bei Graf Rosenberg hat Khunrath die Schrift "Zebelis Regis et Sapientis Arabum Vetustissime", eine Abhandlung der Orakellehre, mit einem Hinweis auf seine
Leibarzttätigkeit herausgegeben: Ex Bibliotheca Henrici Khunrathi Lips: Wilhelmi a Rosis... Medici Ordinarii, Pragae tum commorantis (Prag 1592).
Wilhelm von Rosenberg starb im Jahr 1592, es ist kaum anzunehmen, daß Khunrath als Arzt auch seinem Bruder Wok diente, der als Kunstmäzen und Büchersammler hervortrat (er besaß an
seinem Lebensende rd. 10000 Bände. Die Bibliothek wurde 1602-1608 von seinem Diener Brezan katalogisiert). Die Residenz Woks befand sich zuletzt in Wittingau (Trebon), die Nachrichten über ihn
und seinen Bruder stammen von diesem Brezan. Noch heute befindet sich in Trebon das Archiv der Rosenbergs.
Von nun an scheint sich Khunraths publizistische Tätigkeit zu intensivieren. Haben wir mit dem "Zebelis regis ..." ein eher belangloses astrologisches Vademecum vor uns, so spricht der Erstdruck
des "Amphitheatrums" von 1595 dafür, daß er bestrebt ist, seine Lehre "unter Dach und Fach zu bringen". Er selbst sagt, daß "er solches mit Anwendung grosser Unkosten, Reisen, Zeit und Mühe
geschrieben habe". Duveen, der anerkannte Sammler alchemistischer Bücher, spricht von "extreme rarity of the 1595 edition", er schließt daraus, daß das Buch nur für wenige Auserwählte bestimmt
war. Diese Vermutung wird bestätigt durch Benedictus Figulus, der in dem Anhang zu Khunraths Schrift "De Igne Magorum Philosophorum" (Straßburg 1608) darauf hinweist, daß das Amphitheatrum seit
langem vergriffen ist. "Auch dazumal der Exemplar wenig aufgelegt worden und fast nur hohen Personen zukommen, und also distrahirt worden, das ein armer Gesell das nicht wol bekommen können" (S.
125 f.).
Der Druckort der Erstauflage ist nicht bekannt, Töllner vermutet Basel, weil Wasserzeichen der Basler Papiermühlen sich finden. Dieser erste Druck hatte ein ungewöhnliches Format, etwa 47 x 42,
umfaßte 24 Seiten Text und vier scheibenrunde Kupferstiche mit umlaufenden Text. Er enthielt die Stiche "Der gekreuzigte Christus", "Der erneuerte Mensch", "Der Stein der Weisen" und
"Oratorium-Laboratorium". Sie sind von Paulus van der Doort in den Monaten April bis September 1595 in Hamburg gestochen worden. Gründlich erläutert und erklärt hat sie der Kunsthistoriker Ralf
Töllner (In: Der Unendliche Kommentar, Hamburg 1991).
1596 läßt Khunrath in Magdeburg zunächst in lateinischer Sprache sein "Hylealisches Chaos" drucken, doch schon im nächsten Jahr erscheint es auf Deutsch. Ihm ist eine "Vorrede und Apologie"
vorangestellt, von der er selbst sagt, daß er sie am 13. Juni 1597 in Magdeburg abgeschlossen habe. Zu diesem Zeitpunkt scheint Khunrath in Hamburg zu wohnen und zu praktizieren.
Dokumentarisch belegte Lebensspuren von Khunrath gibt es erst wieder ab 1601 aus dem Umkreis des Grafen Albrecht VII. von Schwarzburg-Rudolstadt. Dr. Joachim Telle wies mich darauf hin, daß
einige Briefe Khunraths an den Grafen im Rudolstädter Archiv zu finden sind. Es sind Briefe mit ärztlichen Ratschlägen aus Berlin 1601, aus Magdeburg 1603 und Gera 1604, außerdem ein ärztliches
Rezept. Das Archiv hat die Briefe abgelichtet, sie sind von Oliver Humberg und von mir ins Lesbare transkribiert worden.
Weitere Recherchen von Oliver Humberg in Rudolstadt bestätigen Hamburg als Wohnort und geben Auskunft über die Bezahlung des Arztes. Am 25. Januar 1601 erhält Khunrath 60 Reichstaler, "damit der
Medicus von Hamburg abgefertiget worden", am 9. März 1604 händigt der Kämmerer dem Grafen 40 Gulden aus "zur Abfertigung des Medicus von Hamburg Dr. Cunradts".
Im Jahr 1605 erkrankt Graf Albrecht schwer, am 18. März läßt er ein Collegium von Ärzten zusammenrufen. Am 23. März zeichnen die Ärzte ein gemeinsames "Consilium". Albrecht solle ein Fontanell
setzen lassen, bei Erfolg noch ein zweites. Es unterschreiben: Zacharias Brendel (von der Universität Jena), Heinrich Khunrath, Simon Bergerus, Mag., Friedrich Müller (Stadtarzt in Gotha) sowie
Mag. Thomas Brömel. Am 26. März erhielten die Erstgenannten je 20 Taler, Berger und Müller je 20 Gulden. Vom 31. März ist der Abschiedsbrief Khunraths datiert, in dem er für erwiesene Wohltaten
dankt und seinem Patienten ewige Wohlfahrt wünscht.
Am 10. April 1605 stirbt Albrecht.
Noch im selben Jahr stirbt auch Heinrich Khunrath, "immatura morte praeventus", wie sein posthumer Herausgeber Erasmus Wolfart sagt. Es soll im September in Leipzig oder Dresden geschehen sein,
wir wissen nichts Genaueres, manche Lexikonautoren munkeln etwas von Erschöpfung und fragen sich, warum er den Stein der Weisen, den er doch angeblich gefunden hat, nicht für sich selbst und die
Verlängerung seines irdischen Lebens verwendete.
Erasmus Wolfart hat 1609 in Hanau die endgültige und vollständige Ausgabe des Amphitheatrums erscheinen lassen. Ich habe mich sehr darum bemüht, mehr darüber zu erfahren, wo und in welcher Weise
die beiden Theosophen sich kennen lernten. Die Archive schweigen.
Sie können hier sehr gern einen Kommentar zu obigem Text hinterlassen. Die Kommentare werden nach Überprüfung umgehend freigeschaltet.
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Dr Reinhard Pohl (Samstag, 24 Januar 2015 10:31)
Hallo Herr Lange, Cordula Daut und ich wollen
Berts lyrisches Werk in einem
Blog praesentieren. Dafür ist zunächst alles an Informationen interessant. Können Sie uns helfen, Gruusss RP
Hans-Jürgen Lange (Samstag, 24 Januar 2015 10:46)
Guten Tag Herr Dr. Pohl, schreiben Sie mir doch am besten eine Mail, sonst kann ich nicht an Sie antworten: info@antiquariatlange.de. Danke.